Tuesday, September 4, 2012

Kann Musik funktionieren?

Man hört es immer wieder von Musikern: das Stück xy "funktioniert".
Was heisst das konkret? Als allererstes ist leider die Proben- und Übezeit  gemeint, die ein zeitgenössisches Musikstück -  in der Regel ein Ensemble- oder Orchesterstück - benötigt, um es im gängigen Musikbetrieb mehr oder weniger gut auf die Bühne zu bringen. Das sind in üblicherweise eine Woche individuelles Üben (wobei natürlich keineswegs jeden Tag stundenlang für das eine Stück geübt wird) und die berühmten drei Proben + Generalprobe.
Der freischaffende oder auch nicht freischaffende Ensemble oder Orchestermusiker (kurz: alle) sieht sich bestenfalls vor der ersten Probe die Noten zum ersten mal an. Dann wird sich entweder beruhigt zurückgelehnt (es ist einfach, quasi Blattspielliteratur), oder ein paar Stellen werden schnell durchgefingert, damit man durchkommt, oder aber es bricht Panik aus: das Stück ist schwer und kann ganz und gar nicht vom Blatt gespielt werden und in einer Woche scheint es unmöglich auch nur den eigenen Part zu lernen.
Es folgen Wut und Ärger über den Komponisten, der dann zusammen mit den Kollegen und schlimmstenfalls mit dem Dirigenten im Einklang in der ersten Probe zur Empörung eines Mobs heranschwillen kann. Alles nur Schall und Rauch! - nachdem man es dem Komponisten (falls er anwesend sein sollte) so richtig heimgezahlt hat (alles unspielbar!) wird auch so ein Stück trotzdem innerhalb von drei Proben schliesslich funktionierend gemacht - sprich, es wird irgendwie über die Bühne gebracht.
Diese "drei Proben + GP" kommen wahrscheinlich aus der klassischen Musikpraxis. Das bedeutet, dass ein Stück alte Musik (das jeder beinahe auswendig kennt) auch drei Proben+GP bekommt -  genauso viel wie ein komplexes Stück der Neuen Musik bei der Uraufführung! Da braucht es einen nicht zu wundern, dass neue Musik selten so gut ankommt wie altbekannte klassische Musik: sie ist in der Regel einfach unvergleichlich viel schlechter gespielt. Und das begeisternde Spiel der Musiker ist es doch, was es letztendlich ausmacht. Trübe Aussichten für lebende Komponisten.

Was macht man nun als Komponist: schreibt man nur noch Musik die "funktioniert" oder traut man sich überhaupt noch etwas zu schreiben, was sowieso bei den drei Proben+GP unter die Räder kommt?
Für mich stellt sich aber zuerst die Frage, ob ein funktionierendes Stück denn nun gut gespielt wird?
Die Antwort ist leider: Relativ gesehen zumindest besser als ein nicht funktionierendes Stück, aber absolut gesehen trotzdem unvergleichlich viel schlechter als ein mittelmässig gespieltes klassisches Stück. Wie denn auch: das eine, neue Stück taucht für eine Woche im Leben des Musikers auf und verschwindet zumeist auf nimmerwiedersehen während die alte Musik einen das ganze Leben begleitet hat und es wahrscheinlich für den Rest des Lebens tun wird.

Also schere ich mich weiterhin einen Dreck darum, ob ein Stück funktionieren kann oder nicht, die Unterschiede bei der Aufführung bewegen sich ja ohnehin weit unterhalb dessen, was ich für wirklich gut halten würde. Man muss den Musikbetrieb meiden.